Reisebericht 2004

St. Petersburg 2004 - und ein wichtiges Fest

(Eindrücke und Gedanken zur Reise vom 24. September bis 2. Oktober 2004 von Pfarrer Michael Schaefer, Krankenhaus Lebach)

 

Wenn auch im vergangenen Jahr für „Gott und die Welt“ St. Petersburg aus Anlass seines dreihundertsten Geburtstages im Blickfeld der weltweiten Öffentlichkeit stand und ungezählte Besucher und „grosse Persönlichkeiten“ sich in dieser strahlenden Stadt an der Newa tummelten, so war der diesjährige Besuch von Marc und mir mindestens genauso bedeutend.

In St. Petersburg gab es nämlich einen wichtigen Grund zu feiern – zwar viel bescheidener und dazu auch nur von einer eher kleinen Schar Eingeweihter wahrgenommen. Diesmal wurde in „Bereg – Das Ufer“ gefeiert, denn unser Heim für die Straßenkinder auf dem Ligovskij-Prospekt wurde zehn Jahre alt. Für Bereg und seine Gäste ein ungeheuer wichtiger und natürlich froher Tag, der mit einem heiteren und doch auch nachdenklichen Fest begangen wurde.

Eingeladen waren zunächst einmal die 130 „Kinder“, die in den zehn Jahren seines Bestehens in Bereg gewesen sind – und das zum großen Teil über manche Jahre. Es war erfreulich, wie viele von ihnen mal wieder „nach Hause“ gekommen waren. Viele von ihnen waren mir noch vertraut und bekannt, da ich seit fünf Jahren ja jedes Jahr in Bereg bin. Für mich persönlich war es sehr beeindruckend zu sehen und zu erfahren, was aus unseren ehemaligen Straßenkindern geworden ist und wie sie ihr Leben jetzt meistern. Der mit Abstand größte Teil „hat es geschafft“ und führt nicht zuletzt auf Grund der Schul- und Berufsausbildung, die ihnen bei uns ermöglicht wurde, ein gesichertes und geordnetes Leben. Es mag zudem verwundern, aber es ist eine erfreuliche Wirklichkeit, dass sechs unserer Jugendlichen ein Hochschulstudium absolviert haben bzw. noch dabei sind. Wohltuend waren dazu die vielen „Enkelkinder“ und ich will nicht verhehlen, dass mich die Begegnung mit ihnen allen mit einem gewissen Stolz erfüllt. Vor allem diese Erfahrung entschädigt mich für manche Mühe und Sorgen, die ich mir hier in Deutschland um und für sie mache. Die Arbeit und der Einsatz für Bereg und seine jungen Menschen sind im Zusammenspiel mit den Mitarbeitern im Heim ganz sicher eine der sinnvollsten Aufgaben, die ich habe: nämlich Kindern und Jugendlichen, die im Strudel ihrer Perspektivlosigkeit unterzugehen drohen, die Hand zu reichen und ihnen zu helfen, an das sichere und rettende Ufer zu gelangen. Dort haben sie dann alle Chancen, endlich „Boden unter die Füße“ zu bekommen und sich mit unserer Hilfe nach und nach eine sichere Existenz aufzubauen.

Zu den Festgästen gehörten ebenso die Vertreter aus verschiedenen Behörden und Gremien, die mit „Bereg“ in diesen zehn Jahren unterwegs waren und es zum Teil immer noch sind. Viele von ihnen haben uns besonders in der Anfangszeit trotz aller Widrigkeiten und der geringen Möglichkeiten, die sie hatten - und nicht selten gegen „ihre Obrigkeiten“ - tatkräftig unterstützt und so dazu beigetragen, dass „Bereg“ überhaupt entstehen konnte. Schon allein von daher war es für uns wichtig und es tat gut zu erfahren, dass für sie unser Fest auch ein Stück ihr Fest war und dass sie unsere Arbeit voll und ganz anerkennen.

Zu diesem Fest gehörten selbstverständlich auch alle, die jemals in Bereg für und mit unseren „Schützlingen“ gearbeitet haben, oder zur Zeit für sie da sind. Von ihnen waren ebenfalls viele der Einladung gefolgt und so gab es vielfach ein überschwengliches und erfreutes Wiedersehen zwischen ehemaligen Kindern, Betreuern, derzeitigen Mitarbeitern sowie Marc und mir, da wir inzwischen ja „zur Familie“ gehören.

Die Betreuer und Kinder / Jugendlichen in Bereg hatten unser Heim für das Jubiläum so richtig „herausgeputzt“ und dazu mit vielen Info- und Bildtafeln den zehnjährigen Weg anschaulich dargestellt. In diesem gemütlichen Rahmen konnte Marina in ihrer Rede einen „großen Bogen“ spannen von den äußerst bescheidenen Anfängen bis zum Jubiläumstag, wobei sie herzlich all denen dankte, die mit Bereg auf dem Weg waren und sind. Hierbei standen nun mal Margarete als Gründerin unseres Vereins „Perspektiven“ und somit auch von Bereg sowie Michael als der „Vater und Ernährer“ des Heimes im Mittelpunkt. Heute können wir mit Recht sagen, dass Bereg zu einer soliden und gesicherten Einrichtung geworden ist, in der unseren jungen Menschen die Unterstützung und das Weggeleit gegeben wird die sie brauchen, um ihr bis dahin missglücktes Leben zu ordnen und letztlich selbst in die Hand zu nehmen. Diese Tatsache kam auch immer wieder in den vielen Grußworten und Glückwünschen zum Ausdruck.

Insgesamt dürfen alle, die für das Heim verantwortlich waren und sind, ganz sicher zufrieden auf das zurück schauen, was bisher geleistet wurde. Zudem bin ich fest davon überzeugt, dass wir guten Mutes und zuversichtlich in die Zukunft schauen und gehen können, da Bereg ein stabiles Fundament und ausgezeichnete Mitarbeiter hat. Diesen wird es auch gelingen, das neue Konzept von Bereg gut und sinnvoll umzusetzen, indem sie den bisherigen Weg weiter beibehalten und dazu der neuen Ausrichtung den nötigen Raum geben. Damit ist es uns möglich, für acht Kinder weiter ein stationäres und dauerhaftes zu Hause zu sein. Dazu können wir gleichzeitig bis zu vier jungen Menschen in Krisensituationen ambulant die Möglichkeit geben, kurzfristig auch bei uns zu bleiben, bis wir mit ihnen die Voraussetzungen geschaffen haben, dass sie „draussen“ wieder einen normalen Weg gehen können. Trotz der noch kurzen Zeit, in der wir diesen zweiten Bereich anbieten, haben schon knapp 40 Jugendliche ihn in Anspruch genommen. In diese Arbeit ist - ebenso wie bei den Kindern, die fest im Heim leben - die Zusammenarbeit mit ihren Familien und die Sorge um diese eingebunden, sowie die unumgänglichen Kontakte mit den Behörden. Diesen ambulanten Bereich unserer Arbeit können selbstverständlich auch Eltern und Angehörige in Anspruch nehmen, die bei der Bewältigung der Probleme mit ihren Kindern nicht zurecht kommen und überfordert sind. Insgesamt also sicher ein guter und solider Weg für Bereg, der den veränderten allgemeinen Lebensbedingungen sowie denen vieler Familien und gefährdeten oder gar schon verwahrlosten Kinder und Jugendlichen Rechnung trägt.

Die Tage in St. Petersburg waren für Marc und mich „bis zum Rand“ gefüllt mit Terminen, da wir alle Projekte von „Perspektiven“ besuchen wollten: Die Behinderteneinrichtungen in Pawlovsk und Peterhof, den Upsala-Zirkus, das Familienprojekt und das „Perspektivi-Büro“. Zudem nahm die Erstellung des Budgets für 2005 mit einem Volumen von rd. 45.000,-- € viele Stunden in Anspruch. Daher war die Zeit in Bereg leider knapp bemessen, wobei es uns aber doch gelungen ist, mit unseren Kindern und Mitarbeitern die verbleibenden Stunden intensiv zu erleben – und so die „Familienbande“ zu pflegen. Also wieder acht Tage voll guter und schöner Erlebnisse und auch bedrückender Erfahrungen - insgesamt jedoch hektisch und anstrengend, weshalb wir von dieser herrlichen und so widersprüchlichen Stadt diesmal nur wenig gesehen haben.

Michael Schaefer

„Straßenkinder - St. Petersburg“

levo-Bank - Lebach

Kto. 50540200 - BLZ 59393000