Reisebericht 2006

Straßenkinder in St. Petersburg -
eine sehr sinnvolle, aber wohl „unendliche Geschichte“

Ein Rückblick auf unsere Reise vom 16. bis 26. September 2006
von Pfarrer Michael Schaefer – Krankenhaus Lebach



Es ist oft sicher gut, wenn man zum Beginn „irgendeiner Sache“ nicht genau weiß, worauf man sich einlässt und was auf einen zukommt. Sonst käme sicherlich so manches nicht zustande, weil man es sich nicht zutrauen würde. Mir erging es keineswegs anders, als ich vor dreizehn Jahren die ersten „zarten Bande“ zu den Straßenkindern in St. Petersburg knüpfte. Das, was als einmalige Hilfsaktion für das Heim „Bereg – Das Ufer“ und sinnvollen Gestaltung meines 50. Geburtstages gedacht war, ist inzwischen eine „unendliche Geschichte“ geworden. Dazu hat ganz gewiss auch das beigetragen, was meine Geschwister und ich bei unseren Eltern erlebt und von ihnen gelernt haben: „Wenn man etwas anfängt, dann schafft man entweder ordentliche Arbeit oder man lässt gleich die Finger davon.“ Und so sind aus den ersten damals noch 12.000,-- DM inzwischen rund 430..000,-- Euro geworden, die ich durch die Hilfsbereitschaft vieler Einzelpersonen und Gruppen bisher für die Straßenkinder sammeln und in Zusammenarbeit mit dem Verein „Perspektiven e. V.“ an diese weiterleiten konnte.
In den ersten Jahren war meiner Arbeit mit und für die Straßenkinder in St. Petersburg noch relativ unbekannt und das Spendenaufkommen hielt sich in Grenzen. Durch ein Benefiz-Konzert der „DSK“ in der Congresshalle in Saarbrücken wurde „der Schaefer mit seinen Straßenkindern“ bekannter und die Spenden stiegen spürbar an. Dies führte dazu, dass ich das Heim „Bereg – Das Ufer“ nun schon seit sechs Jahren durch meine Arbeit und die Hilfsbereitschaft so vieler Spender komplett finanzieren kann.
Das ist auch ein Grund für meine jährlichen Reisen nach St. Petersburg, bei denen Marc Naumann mich seit einigen Jahren begleitet und bei den dort anstehenden Planungen tatkräftig unterstützt. Das heißt dann, mit den Mitarbeitern über die Struktur und grundsätzliche Ausrichtung unserer Arbeit und des Heimes zu sprechen und ebenso zu überlegen, ob und wo eventuell welche Veränderungen vorgenommen werden müssen. Weiter gilt es, die Mitarbeiter und den Werdegang und das Wohl der Kinder im Blick zu haben, um notfalls die erforderlichen Entscheidungen zu treffen – so wie in jeder normalen Familie.
Einen breiten Raum und viel Zeit nimmt jedes Jahr das unausweichliche Thema der Finanzierung des Heimes ein, da dabei das Budget für das folgende Jahr von der Heimleiterin Marina, von Marc und mir erstellt und die Finanzierung geregelt wird. So wie alle Projekte, die „Perspektiven e.V.“ in St. Petersburg unterhält, muss auch „Bereg“ einen Anteil der Finanzierung in Höhe von 20 % der Gesamtkosten übernehmen. Wenn es auch bis vor wenigen Jahren im Grunde unmöglich war, russische Sponsoren zu finden, so ist dies inzwischen bedingt möglich, aber immer noch äußerst mühsam. Das Budget für unser Heim hat für das Jahr 2007 ein Volumen von 63.900,-- Euro, von denen „Bereg“ selbst 12.780,-- Euro aufbringen muss und die restlichen 51.120,-- Euro müssen von mir finanziert werden.
Es hat sich gezeigt, dass das Heim auf Grund der sinnvollen Umstrukturierung in eine stationäre Einrichtung mit 8 Plätzen und in ein offenes Beratungszentrum für Eltern und Kinder / Jugendliche, doch das ganze Jahr geöffnet bleiben muss. Bei der früheren rein stationären Struktur konnte es in den Monaten Juli / August geschlossen werden, da die Kinder (wie in Russland üblich) dann auf einer Datscha waren. Das heißt jedoch, dass die Kosten für das Heim spürbar gestiegen sind, da die Löhne der Mitarbeiter jetzt für das ganze Jahr gezahlt werden müssen – und nicht wie bisher für 10 Monate. Was aus unserem (abgelaufenen) Mietvertrag mit der Stadt wird, ist immer noch nicht klar. Wir können nur hoffen, dass es eine „russische“ Lösung gibt, nach der wir dann weiterhin unsere „soziale“ Miete (für soziale Einrichtungen 10 % der üblichen Miete) zahlen. Wenn wir jedoch eine normale Miete zahlen müssen, bedeutet dies das „Aus“ für unser Heim – es sei denn, Marina findet dann noch eine andere „russische“ Lösung.
Doch bei allen Fragen und Problemen, die erörtert und bedacht werden mußten, gab es auch wieder viele schöne Erlebnisse und gute Erfahrungen. Wenn im Moment der stationäre Teil des Heimes kurzfristig auch nicht ganz ausgelastet ist, so ist das kein Grund zur Besorgnis. Es gab und gibt immer Zeiten, in denen ein relativ schneller Wechsel stattfindet – und ein andermal ist die „Truppe“ sehr konstant und ausdauernd. Hinzu kommt, dass der anstehende Winter unweigerlich das Heim wohl mehr als füllen wird, sodass es wieder richtig eng wird. Leider hat uns N., die erst kurz bei uns war, wieder verlassen, da sie nach einer Feier bei ihrer Arbeit als Straßenkehrerin total betrunken ins Heim zurück kam und dort für reichlich Turbulenzen sorgte. Mit ihren 18 Jahren ist sie leider von ihrem relativ langen Leben auf der Straße und ebenso durch die schlimmen Erlebnisse in ihrer kaputten Familie so geschädigt und gestört, dass es wohl einem Wunder gleich kommt, wenn sie doch noch auf einen guten Weg kommen sollte.
Andererseits ist es sehr erfreulich zu erleben, wie die anderen Jugendlichen mit viel Energie lernen und zum Teil dabei sind, in einer weiterführenden Schule Fuß zu fassen. Auf verschiedene Art und Weise packen sie mit unserer Hilfe ihr Leben an, um ihm eine solide Basis zu geben. Sicherlich ein Höhepunkt war in diesem Jahr der Moment, als Rasim mir und Marc sein „noch frisches“ Diplom als Sportlehrer in die Hände gab. Ich gebe zu: wir sind mit ihm (und den Mitarbeitern) mächtig stolz auf das Erreichte. Dies umso mehr, da er einer der Schlimmsten war, die jemals im Heim waren. Er ist allerdings auch ein Vorbild für die anderen, weil sie bei ihm sehen, was man trotz einer miserablen Kindheit und Vergangenheit aus seinem Leben machen kann.
Es tut ebenso immer wieder ungeheuer gut zu erleben, mit welcher Energie die Mitarbeiter täglich an ihre beschwerliche Arbeit mit den Jugendlichen gehen und mit wieviel Liebe und Einfühlungsvermögen sie auf die jungen Leute zugehen. Nur so ist für mich auch zu erklären, dass die „Bilanz“ unseres Heimes so positiv ist, dass also die Zahl derer, die es nicht schaffen, doch recht gering ist. All das ermutigt uns, uns weiterhin für die Kinder / Jugendlichen einzusetzen und die Mitarbeiter zu
unterstürtzen, damit „Bereg“ noch für viele junge Menschen ein festes „Ufer“ sein kann!
Michael Schaefer
Straßenkinder – St. Petersburg
levo – Bank - Lebach
Kto. 50540200 - BLZ 59393000