Reisebericht 2005

Zum siebtenmal St. Petersburg – und immer noch ein Geheimnis
Rückblick auf unsere Reise vom 24. September bis 4. Oktober 2005
von Pfarrer Michael Schaefer – Krankenhaus Lebach


Ende September war es soweit – und das Reiseziel war eindeutig wieder St. Petersburg. Am dortigen Flughafen, der etwa 25 km von der Stadt entfernt ist, warteten Julia und Sergeij schon auf uns, als wir nach knapp dreistündigen Flug ab Frankfurt und auffallend wenig Formalitäten am Zoll das für die 300-Jahr-Feier der Stadt vor zwei Jahren wesentlich erweiterte und (immer noch) fein herausgeputzte Flughafengebäude verließen.
Auf dem schnellsten Weg ging es Richtung Stadt zum Ligovsky-Prospekt 65 – in unser Heim „Bereg – Das Ufer“, wo viele Mitarbeiter und die Kinder und Jugendlichen schon auf uns warteten. Wie gewohnt war das Wiedersehen nach einem Jahr entsprechend stürmisch – und Marc Naumann und ich waren wieder „daheim“. Es gab viel zu erzählen, wobei die Verständigung nur ein kleines Problem ist. Unser Psychologe Sergeij und Julia, eines unserer früheren Straßenkinder, die nach ihrer Entlassung aus dem Heim zwei Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hat, sprechen gut deutsch und waren so als Dolmetscher immer voll und ganz beansprucht. Heute studiert Julia in St. Petersburg Psychologie.
Bei diesem Besuch hatten Marc und ich natürlich wieder die Möglichkeit, uns von Bereg ein „eingehendes Bild“ zu machen. In den elf Tagen unseres Aufenthaltes haben wir v. a. mit der Heimleiterin Marina und den Mitarbeitern – aber auch mit den Kindern und Jugendlichen viele Gespräche geführt und konnten uns so einen guten Einblick verschaffen.
Grundsätzlich kann ich sagen, dass Bereg sehr gut läuft und somit auch ordentlich funktioniert. Wie nicht anders zu erwarten, wird das Heim wie gewohnt von Marina solide (wenn auch ziemlich stramm) geleitet. Dabei ist es erfreulich zu sehen, dass die Mitarbeiter ein Team sind, das die „Richtlinien“ letztlich miteinander bestimmt – und so inzwischen auch das im Herbst 2003 angelaufene neue Konzept gemeinsam „mit Leben gefüllt“ hat.
Die Umstrukturierung in eine stationäre Tageseinrichtung mit 8 Plätzen, die Bereitstellung von 3 Krisenbetten (kurzfristig für Notfälle) und das neue Beratungsangebot für Kinder / Jugendliche sowie für Eltern und Angehörige war genau das Richtige. In diesen „offenen“ Teil integriert ist eine Tages-Betreuung für max. 5 Kinder / Jugendliche, die nach einem eigens ausgearbeiteten Plan erfolgt. Die ständigen Bereg-Bewohner erfahren wie bisher ihre umfassende Betreuung.
Das offene Beratungsangebot wird sowohl von Kindern / Jugendlichen wie auch von Eltern und Anghörigen stark genutzt. Ein Wechsel zwischen der Tages- und stationären Einrichtung ist für die Kinder / Jugendlichen möglich und wird durchaus in Anspruch genommen. Die Hauptschwerpunkte der ambulanten Arbeit liegen v.a. im sozialen, rechtlichen, pädagogischen und psychologischen Bereich. Im stationären Bereich sind z. Zt. sieben Kinder / Jugendliche, die in der Schule sind, ein Kolleg besuchen oder arbeiten.
Mit ihren 15 Jahren ist O. unser größtes Sorgenkind, da sie seit ihrem 4. Lebensjahr immer wieder von ihrem Stiefvater vergewaltigt wurde und psychisch total kaputt, ein kindliches Wrack, ist – ich weiß, ein harter Ausdruck, aber es ist leider so. Wir können nur hoffen, dass die eingeleitete Betreuung durch unseren Psychologen und von außerhalb noch greifen kann.
Seit längerer Zeit arbeitet Bereg mit dem „Korczak-Zentrum“ in der Stadt zusammen, das sich um Kinder / Jugendliche kümmert, die aus verschiedenen Gründen aus Kinderheimen entlassen wurden. Dabei ist leider einer der Gründe die (häufig vorgeschobene) Tatsache, dass sich diese Kinder nicht integrieren lassen – oder sollte man besser sagen, dass mit ihnen für die (staatlichen) Heime „kein Staat zu machen“ ist, weil sie mehr Begleitung erfordern, als man dort zu geben bereit (oder fähig) ist. Aus solchen Heimen sind einige zu „Bereg“ gekommen – und es ist erfreulich zu sehen, wie gut sie sich bei entsprechender Betreuung entwickeln.
„Perspektiven“ hat schon vor einigen Jahren beschlossen, dass die einzelnen Projekte, die wir in St. Petersburg unterhalten, einen Teil (ca. 15%) ihres Budgets selbst, also durch Spenden / Naturalien auch aus Russland „erwirtschaften“ müssen. Dies heißt nun für „Bereg“, dass es für das nächste Jahr etwa 7.500,--€ „auftreiben“ muss, was sicher nicht einfach ist – aber nach den bisherigen Erfahrungen doch möglich sein wird.
Nicht geringe Sorgen macht uns unser Mietvertrag mit der Stadt, der „abgelaufen“ ist (was auch immer das in Russland heißen mag) und bei dem wir nur eine „soziale“ Miete bezahlt haben – also 10% der sonst üblichen Miete. Da hierbei die Kosten für Miete + Nebenkosten schon bei jährlich 5.400,-- € liegen, kann sich jeder ausrechnen, dass der andere Satz von uns unmöglich zu finanzieren ist.
Ein Lichtblick dabei ist allerdings, dass die zuständige (Bezirks)-Frau von der Stadt uns sehr gut gesonnen ist, da sie von „Bereg“ und unserem Konzept und der Arbeitsweise völlig überzeugt ist. Sie will mit Marina nach Wegen suchen, wie das zu regeln ist. Hoffen wir also, dass es irgendeinen Weg gibt – „sonst müssen wir demnächst sehen, wo wir bleiben“. Ein (russischer?) Weg scheint dabei auch zu sein, dass sie Marina bei den Behörden für einen Orden / eine Auszeichnung vorgeschlagen hat. Wie sie mir bei unserer kleinen Feier zum 11-jährigen Be-stehen von „Bereg“ sagte, bringe das schon mal ein gutes Stück Sicherheit.
Wenn auch viel gearbeitet werden musste, wobei die Erstellung des Budgets für das Jahr 2006 mit einem Volumen von über 56.000,-- € viel Zeit in Anspruch nahm (von dem knapp 50.000,-- € über Pfarrer Schaefer zu finanzieren sind), so blieb doch noch Zeit für verschiedene Unter-nehmungen mit unseren Kindern und dem Personal. Übrigens ein sehr wichtiger Punkt, denn so können die „Familienbande“ am besten gepflegt werden. Erfreulich war die Tatsache, dass wir bei einer dieser Aktionen eine Reisegruppe aus Wertach getroffen haben, die am anderen Tag „Bereg“ sogar besuchte und jetzt unsere Arbeit auf ihre Weise unterstützen will.
Wenn ich nun auf das letzte Jahr zurückschaue, dann muss ich sagen. dass es ein Jahr war, in dem es „alles in allem Licht und Schatten“ gab, wobei aber das „Licht“ bei weitem überwogen hat. Und ich für meinen Teil kann eigentlich nur das wiederholen, was ich Marc im vergangenen Jahr bei der Feier unseres 10-jährigen Bestehens gesagt habe: „Wenn ich das hier alles sehe (unsere derzeitigen und früheren Kinder - teilweise mit ihren Familien -, unsere Mitarbeiter und das Heim selbst), dann bin ich fest davon überzeugt, dass mein Einsatz für „Bereg“ wahrscheinlich das Wichtigste und Sinnvollste ist von allem, was ich tue“.
Michael Schaefer
„Straßenkinder - St. Petersburg“
levo-Bank - Lebach
Kto. 50540200 - BLZ 59393000